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“Neue Ideen reinbringen”

Im Grazer Stadtpark trafen sich vier junge Journalist:innen zum Gespräch über den Kulturwandel in den Redaktionen, den Generation Gap zwischen Print und Online und eine zeitgemäße Journalismus-Ausbildung

Johanna, Sarah und Christian, ihr drei steht schon als Journalist:innen im Berufsleben. Wie gut stimmt die Realität mit dem Bild überein, das ihr euch davor von dem Beruf gemacht habt?

Christian Albrecht: Im Großen und Ganzen liegt alles sehr nah an meiner ursprünglichen Vorstellung. Mit der einen Einschränkung, dass ich vielleicht weniger draußen unterwegs, weniger „bei den Menschen“ bin, als ich es mir ausgemalt hatte. Dazu hat Corona aber sicher auch beigetragen.

Johanna Hirzberger: Meine ersten Erfahrungen habe ich bei einem großen TV-Unternehmen gemacht. Dort ging es viel hierarchischer zu, als ich mir das gedacht hätte. Die Alteingesessenen gaben die Richtung vor, und man musste sich arrangieren, damit man weiterkommt. Das hat mich zunächst extrem abgeschreckt. Ich hatte mir erwartet, dass junge Leute grundsätzlich gefördert werden, wenn sie in ein Unternehmen kommen, aber das war leider nicht der Fall. Ichbin deshalb nach Deutschlandgegangen, um dort Erfahrungenzu sammeln. Der Marktist viel größer, auch der Druck,dadurch entwickeln sich die einzelnen Akteur:innen nicht zu solchen Platzhirschen wie in Österreich. Wobei ich mitbekommen habe, dass sich auch hierzulande in den letzten paar Jahren einiges zum Besseren gewandelt hat.

Sarah Maria Kirchmayer: Bei mir war es umgekehrt. Ich erhielt diesen Sommer bei der Kleinen Zeitung eine Anstellung – und hatte anfangs Angst davor, mit den Journalist:innen zusammenzuarbeiten, die ich als Leserin immer bewundert hatte. Ich dachte, da wird sicher von allen Seiten auf mich heruntergeschaut. Aber so wares gar nicht, im Gegenteil, es war vom ersten Tag an ein Verhältnis auf Augenhöhe.

Elisabeth, du studierst noch Journalismus und PR an der FH Joanneum in Graz. Was würde für dich ein gutes Arbeitsumfeld in einem Medienunternehmen auszeichnen?

Elisabeth Michalek: Auf Augenhöhe zusammenzuarbeiten mit allen Kolleg:innen – das wäre auch für mich das Wesentliche. Ich denke, wir Jungen wollen nicht als dumm oder naiv behandelt werden. Man kann was draufhaben, Schwung und neue Ideen reinbringen, egal wie alt man ist. Ich fände es außerdem wichtig, dass gute Leistung hoch angerechnet und wertgeschätzt wird, gerade in einer Branche, in der Freunderlwirtschaft nicht unbekannt ist. Außerdem finde ich es wichtig, dass Medienunternehmen die Diversität in den eigenen Reihen fördern, also: Wie hole ich Leute rein, die unterschiedliche Perspektiven auf die Gesellschaft liefern können?

Nehmt ihr hier einen Generationensprung oder vielleicht auch einen Kulturwandel wahr? Stichwort „klassische“ vs. digitale Medien?

Johanna Hirzberger: Bei Ö1 sind sie sich dieses Kulturwandels absolut bewusst, und sie wollen sich auch ehrlich weiterentwickeln. Trotzdem nehme ich noch immer diese Einstellung wahr: „Na, nimmst dir auch was mit für Social Media …?“ Dieses Feld wird noch immer nicht wirklich ernst genommen oder wertgeschätzt als eigener Kanal für innovative Formate des Storytellings. Also ich spüre beides: eine Öffnung hin zu experimentellen Formaten und neuen Denkweisen, aber gleichzeitig auch Unverständnis.

Christian Albrecht: Gewisse Abläufe der digitalen Kanäle sind bei älteren Kolleg:innen einfach nicht so präsent wie bei jüngeren. Wenn ich zum Beispiel Onlinedienst während eines Formel- 1-Rennens mache, kann ich nach der Zielflagge einfach nicht eine halbe Stunde warten, bis der Artikel über das Rennen fertig ist. Der muss sofort raus. Manchmal gibt es da sicher Reibungspunkte, aber ich denke, das ist nicht überraschend bei einer Zeitung, die de facto doppelt – einmal in Print, einmal online – produziert wird.

Johanna Hirzberger: Ich hätte dazu eine Frage, Christian: Ich habe Freund:innen, die auch bei größeren Zeitungen in der Onlineredaktionarbeiten und mir erzählen, dass jene Redakteur:innen, die nur für die Printausgabe schreiben, anders behandelt werden, mehr Zeit und Ressourcen für Geschichten bekommen. Als gehörten sie zu einer „höheren“ Kategorie Journalist:in als die Onlineredakteur:innen. Und oft verlaufe diese Abgrenzung auch entlang des Alters. Gibt es solche Unterschiede auch bei euch?

Christian Albrecht: Bei der Kleinen Zeitung ist es in der Theorie so, dass es gar keine Unterscheidung mehr zwischen Print- und Onlinedienst gibt. Alle machen alles. Die Betonung liegt auf: in der Theorie. In der Praxis gibt es natürlich noch immer manche Unterschiede, was den Arbeitsaufwand für die Onlinekanäle betrifft. Ich bin häufig für „Online“ zuständig, wenn ich aber für eine größere Geschichte recherchiere oder Außentermine habe, gibt es nie Probleme, dafür freigeschaufelt zu werden.

 

Wie gut werden junge Journalist: innen in Österreich ausgebildet?

Johanna Hirzberger: Ich denke, dass sie insgesamt gut ausgebildet werden. Es gibt so viele Angebote wie noch nie, wo man das journalistische Handwerk lernen kann. Mit meiner Erfahrung im Hintergrund – ich habe zuerst ein Universitätsstudium abgeschlossen und danach erst die FH – wünsche ich mir aber, dass der Zugang zur journalistischen Karriere diversifiziert bleibt. Dass also auch Quereinsteiger:innen weiterhin die Chance haben, in Medienhäusern anzufangen und das Handwerk dort zu lernen. Es sollte nicht so sein, dass man an einer FH Journalismus studieren muss, um ein Praktikum bei einem Medienunternehmen zu bekommen. Gute Redaktionen brauchen einen Mix an Ausbildungswegen und Fachinteressen in ihren Reihen.

Elisabeth Michalek: Was die Lehrinhalte betrifft, versucht die FH schon an den klassischen Medien festzuhalten, trotzdem gibt es einen Überhang zu Onlinemedien und Social Media. Das ist sicher zeitgemäß, aber mir fast schon wieder ein bisschen zu viel. Ich persönlich habe das „klassische“ Schreiben für „klassische“ Medien sehr gern. Es kommt mir aber so vor, als würde man uns vermitteln: Ihr Jungen landet eh alle in den Online-Abteilungen, also bereiten wir euch hier darauf vor. Ich frage mich, ob für uns Digital Natives in Wahrheit nicht andere Lehrinhalte, also zusätzliche Kompetenzen, viel wichtiger wären. Denn wenn die ältere Generation sich jetzt auch von Jahr zu Jahr mehr Social-Media-Kompetenzen aneignet, geht unser vermeintlicher Vorteil erst recht wieder verloren.

Sarah Maria Kirchmayer: Ich hatte bei meinem Studium an der FH große Probleme mit der Art und Weisewie das Handwerk vermittelt wird. Deshalb habe ich auch abgebrochen. Das Feedback erschien mir teilweise pingelig, es wurde auf Dinge geachtet, die in der Jobrealität eigentlich keine Rolle spielen. Das Um und Auf einer guten Ausbildung ist meiner Meinung nach konstruktive Kritik. Also: Was kannst du besser machen und wie? Diese Form der Kritik habe ich erst bei meinem Praktikum beim Standard und später bei der Kleinen Zeitung erlebt. Aber wenn ich mir anschaue, wie viele Absolvent:innen der FH Joanneum es in der Branche sehr weit schaffen, muss ich sagen, dass offenbar doch gute Arbeit gemacht wird. Nur für mich war es eben nicht das Richtige. EM: Mir ist es bei meinen bisherigen Erfahrungen so vorgekommen, als wäre es im „echten Leben“ fast ein bisschen einfacher als im akademischen. Wahrscheinlich weil es kein Lehrenden-Studierenden-Verhältnis gibt, sondern weil man mit Kolleg:innen zusammenarbeitet.

Johanna Hirzberger: Im Alltag hilft es eben nichts, jemanden endlos zu korrigieren – denn im Mittelpunkt steht die Geschichte und dass sie im bestmöglichen Zustand rausgeht.

Du bist selbst auf die Seite der Lehrenden gewechselt, Johanna, und betreust den Ausbildungssender Radio Radieschen an der FH Wien mit. Wie legst du es dort an?

Johanna Hirzberger: Radio Radieschen ist sehr praxisnah. Man muss als Student: in sofort Live-Moderationen machen und ganze Beiträge gestalten. Ich investiere viel Zeit in die individuelle Betreuung. Die Student:innen müssen mehrere Beitragsideen liefern, und dann gehe ich mit jeder und jedem Einzelnen durch: Was von der Idee kann man wie verwirklichen, wie setzen wir den Radiobeitrag am besten um? Die Themenfindung wird also zur gemeinsamen, konstruktiven redaktionellen Arbeit. Es ist nicht so, dass ich Aufgaben verteile wie eine passive Chefin und sage: Heute macht ihr das!

Reden wir auch über die Menschen, über die ihr als Journalist: innen berichtet. Wie wollt ihr Menschen begegnen, wie wollt ihr sie darstellen? Was ist euch dabei wichtig?

Sarah Maria Kirchmayer: Wenn ich beispielsweise für Das Querformat, wo ich Chefredakteurin bin, ein Porträt schreibe oder ein Interview mache, will ich herausarbeiten, was diesen Menschen ausmacht, was ihn zu dem macht, der er ist. Es geht mir genau nicht darum, den konventionellen Blick der Gesellschaft zu befriedigen, der nach irgendwelchen Leistungen Ausschau hält. Die queere Community ist medial noch immer stark unterrepräsentiert, das Thema kommt in der „normalen“ täglichen Berichterstattung so gut wie nicht vor, und das finde ich schade. Das gilt auch für viele andere marginalisierte Communitys. Im Querformat rücken wir also Menschen und ihre Geschichten in den Mittelpunkt. Das ist natürlich bei einem Vierteljahresmagazin leichter möglich als bei einer Tageszeitung, wo Menschen leider zu oft als reine Objekte der Berichterstattung vorkommen.

Johanna Hirzberger: Das stimmt sicher. Es ist insgesamt zu wenig Raum da für solche offenen Begegnungen mit Menschen, wie du sie beschreibst. Mein Zugang ist: Ich versuche alle meine Interviewpartner: innen zuallererst einmal ernst zu nehmen. Auch wenn ich das, was sie sagen, vielleicht völlig absurd finde. Meine Aufgabe als Journalistin ist es, den Grund dahinter zu finden, warum sie so denken. Da hinzukommen ist superspannend. So kann man Debatten anstoßen. Und das ist für mich eine der Hauptaufgaben von Journalismus.

Elisabeth Michalek: Mir ist es ganz grundsätzlich wichtig, dass Menschen keine Angst bekommen, wenn ich ihnen als Journalistin begegne, sondern ein Gefühl der Sicherheit. Im Sportjournalismus, wo ich gerne arbeiten würde, interessieren mich gerade Tabuthemen sehr. Warum liest man zum Beispiel nie über das Thema Menstruation im Sport? Das ist einer der zentralsten Aspekte bei der Sportausübung für Frauen und Mädchen. Auch sexueller und psychischer Missbrauch im Sport sind noch immer zu wenig beleuchtete Themen.

Christian, als einer, der schon in einer Sportredaktion sitzt: Warum sind das wenig beleuchtete Themen?

Christian Albrecht: Sportjournalismus ist sicher noch immer eine Männerdomäne,
und ich muss gestehen, zu den genannten Themen fehlt einem als Mann einfach der Zugang. In unserer Sportredaktion arbeiten zurzeit zwölf Männer und keine einzige Frau. Wir bewegen uns aber zum Glück in die richtige Richtung, wie auch die Berichterstattung zur Frauenfußball- EM gezeigt hat. Und von meiner Zeit an der FH weiß ich, dass sich in dieser Generation viel tut und mehrere junge Kolleginnen, wie eben auch Elisabeth, sich für den Sportjournalismus interessieren.

Wie wichtig ist euch der Aufstieg auf der Karriereleiter? Möchtet ihr irgendwann eine Leitungsposition ausfüllen?

Cristian Albrecht: Mir persönlich ist das gar nicht wichtig. Ich wüsste nicht, was mir noch mehr Spaß machen würde als mein aktueller Job. Und ich hoffe nicht, dass sich das in den nächsten zehn Jahren verändern wird. Ich strebe keine höhere Position an, ich fühle mich mit dem Maß an Verantwortung, das ich jetzt habe, sehr wohl.

Johanna Hirzberger: Bei mir ist es ähnlich: Ich will das machen, was mich mit Leidenschaft und Energie erfüllt,und ich will davon leben können. Das heißt: Geschichten von Menschen zu erzählen, das Publikum zur Reflexion anzustoßen. Ich bin überzeugt, dass in den kommenden Jahren noch mehr mediale Plattformen für solche menschenzentrierten Formate entstehen werden. Sollte sich was ergeben, würde ich mich sicherlich freuen, meine Ideen auch in einer Leitungsposition zu verwirklichen. Es wäre schon cool, irgendwann mein eigenes Format zu haben. Um dann wiederum anderen das mitgeben zu können, was ich gelernt habe.

Fotos: Christoph Liebentritt

Diskutiert haben

Christian Albrecht

Während seines Journalismus-Studiums an der FH Joanneum machte der heute 25-Jährige ein Praktikum in der Sportredaktion der Kleinen Zeitung – und blieb dort, zunächst in geringfügiger, seit letztem Jahr in fester Anstellung

Elisabeth Michalek

Die 20-jährige Grazerin feierte als Schülerin Erfolge in der Rhythmischen Gymnastik. Nach der Matura begann sie an der FH Joanneum Journalismus und PR zu studieren. 2023 möchte sie die Ausbildung abschließen. Ihr besonderes Interesse gilt dem Sportjournalismus.

Johanna Hirzberger

Nach dem Master in Politikwissenschaft studierte die 30-jährige Oststeirerin Journalismus & Neue Medien an der FH Wien. Heute arbeitet sie wieder dort – im Ausbildungssender Radio Radieschen. Daneben gestaltet sie als freie Journalistin bei Ö1 Wissenschaftsbeiträge und Features.

Sarah Maria Kirchmayer

Die 21-jährige Grazerin ist Chefredakteurin des queeren und feministischen Magazins Das Querformat, das seit 2021 viermal jährlich in gedruckter Form erscheint und auch online zu lesen ist. Seit Sommer 2022 arbeitet sie außerdem bei der Kleinen Zeitung in der Regionalredaktion Voitsberg.

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