Das Gespräch führte fit4internet.
Andre Wolf, Pressesprecher des Vereins Mimikama, rät zum Finden einer Gesprächsbasis, wenn im Familien- oder Freundeskreis Falschmeldungen oder Verschwörungstheorien verbreitet werden. Um resistent zu bleiben, sollte man das Internet und Social Media bewusst und souverän nutzen.
Wie entstehen Fake News und Verschwörungstheorien? Und welchen Zweck verfolgen sie?
Bei Verschwörungstheorien handelt es sich um ganze Geschichten, die auch sinnstiftende Kerne haben. Fake News sind nadelstichartige, breit gefächerte Falschmeldungen, die über Social Media verbreitet werden und sich sinnstiftender Erzählungen bedienen. Fake News tauchen häufig im Fahrwasser von realen Umständen auf. Sie sind also anlassbezogen und dienen der Desinformation, Irritation sowie Manipulation. Verschwörungstheorien hingegen dienen nicht zwingend der Manipulation, sondern eher der Erklärung von Lebensumständen. Komplexe Probleme werden auf eine einfache Basis heruntergebrochen
und schwer verständliche Phänomene erklärt. Der Aufbau von Feindbildern ist bei Verschwörungstheorien ein wichtiger Komplex, da ein Feindbild zur Kanalisation von Wut, Ängsten und Ratlosigkeit dienen kann. Ebenso kann die propagierte Zerstörung eines Feindbildes eine vermeintliche Lösung des jeweiligen Problems darstellen.
Auf welchen Plattformen werden Fake News und Verschwörungstheorien häufig verbreitet?
Einige Plattformen sind dafür besser geeignet als andere. Instagram weist weniger manipulative Falschmeldungen
auf als die komplexere Plattform Facebook, auf der mannigfaltigere Darstellungsformen von Inhalten verbreitet werden können: Texte, Bilder, Videos, alles in Kombination. Messenger bieten ebenfalls die Möglichkeit, eine Mixtur von Darstellungsformen zu nutzen. Überdies vermitteln sie im Gegensatz zu offeneren Plattformen wie Facebook und Twitter eine gewisse
Vertraulichkeit. Daher ist in den letzten Jahren vor allem Telegram stark gewachsen. Und im Vergleich zu Facebook und Twitter wird auf Telegram bei Falschmeldungen und Verschwörungstheorien weniger oft eingegriffen.
Was sind die häufigsten Inhalte oder Themenfelder bei Fake News und Verschwörungstheorien?
Mit großer Reichweite versehen sind anlassbezogene Falschmeldungen. Das bedeutet, dass sich Falschmeldungen an realen Vorkommnissen orientieren. Dadurch werden diese Geschehnisse bewusst verzerrt. Das hat auch damit zu tun, wer Interesse an Desinformation hat. Manchmal sind es lediglich falsch interpretierte Beobachtungen harmloser Natur, die zu Missverständnissen, Falschmeldungen oder Verschwörungstheorien führen können. Auf der anderen Seite können bewusst demokratieschädigende Falschmeldungen verbreitet werden. Aber fast immer gibt es einen realen Anlass.
Wie erkennt man Fake News und Verschwörungstheorien und schützt sich davor?
Der souveräne Umgang mit Social Media und das Wissen um manipulative Kommunikationsstrategien sind sehr wichtig in der Prävention. In der Bildung nutzen wir zwei verschiedene Modelle, um dieses Wissen zu vermitteln. Das sogenannte Debunking versetzt Menschen in die Lage, Falschmeldungen zu entlarven. Hierbei wird Wissen zu bestimmten Tools und Recherchemöglichkeiten vermittelt. Auf der anderen Seite steht das Prebunking, das Erkennen von Falschmeldungen und Verschwörungstheorien, sobald oder auch schon bevor sie auftreten. Hier werden klassische sinnstiftende Verschwörungserzählungen analysiert und beobachtet, wann sie in der Vergangenheit angewendet wurden, um zu erkennen, in welchem Kontext sie das nächste Mal auftauchen könnten. Das Prebunking ist wie eine Impfung.
„Man sollte sich nicht von starken Boulevard- Schlagzeilen beeindrucken lassen.“
Wie soll man reagieren, wenn jemand im Familien- oder Freundeskreis Fake News und Verschwörungstheorien teilt?
Das ist ein sensibles Thema. Gerade in der Familie oder im Freundeskreis will man mit Menschen in gutem Kontakt stehen, auch wenn sie wiederholt Falschmeldungen oder gar Verschwörungstheorien verbreiten. Sinnvoller als das plumpe Entgegenwerfen von Fakten ist, eine gemeinsame Gesprächsbasis zu finden. Man spricht über Urlaube, Haustiere oder gemeinsame positive Erlebnisse. Es ist wichtig, immer die Tür zum Gespräch einen Spalt offen zu halten, selbst jedoch resistent zu bleiben. Faktenchecks oder Recherche sind wichtig, um Wissen zu einem Thema zu haben. Es braucht jedoch eine vorsichtige Herangehensweise an die Sache. Und es kann notwendig sein, dass man im Vorfeld von Familientreffen und Feiern Gesprächsinhalte absteckt. Ich darf durchaus den Wunsch äußern, dass bestimmte Themen nicht angesprochen werden, um Streitereien zu vermeiden. Diese Gesprächsgrenzen gelten dann für alle.
Wie schützt man sich vor dem Abgleiten in eine Filterblase?
Es ist wichtig, Radikalität zu vermeiden, ob auf Social Media oder im realen Leben, denn die lässt einen in bestimmte Filterblasen hereindriften. Wenn ich also ein offenes Auge habe, immer wieder unvorhersehbare Informationen auf Social Media konsumiere und mir ein breites Themenfeld anschaue, ist der Radikalisierungseffekt weniger stark. Darüber hinaus sollte ich mir über den Confirmation Bias, zu Deutsch Bestätigungsfehler, bewusst sein.
Das bedeutet, dass ich jene Informationen als wahr erachte, von denen ich schon vorher überzeugt war. Gerade im Internet besteht eine so große Informationsfülle, dass ich mir quasi aussuchen kann, was ich für richtig halte. Ob diese Informationen vielleicht manipuliert sind, spielt dabei keine Rolle. Sie bestätigen einfach meine Überzeugung. Diese Gefahr muss ich mir immer vor Augen halten. Auch die Geschwindigkeit des Konsums von Informationen spielt eine Rolle. Man sollte sich nicht von starken Boulevard-Schlagzeilen beeindrucken lassen, sondern schauen, welche Information übermittelt wird und wie stark die geschilderten Ereignisse dramatisiert wurden