Von Raimund Lang.
Qualitätsjournalismus gilt als die hohe Schule der Informationsvermittlung. Doch seine Reputation steht permanent auf dem Prüfstand.
Eine Gesellschaft ohne Journalismus ist etwa genauso wenig vorstellbar wie eine Gesellschaft ohne Informationsbedarf. Schließlich ist die historisch erste und bis heute dominierende Aufgabe des Journalismus, Menschen zu informieren. Seit der Aufklärung und ganz besonders in modernen Demokratien erhielt die Vermittlung journalistischer Inhalte auch eine politische Dimension: Mündige Bürgerinnen und Bürger sollten in der Lage sein, aus Fakten eine begründete Meinung zu entwickeln, um ihre Rolle als Wählerinnen und Wähler verantwortungsvoll zu erfüllen. Dabei half und hilft ihnen der Journalismus, der dafür auch kritisch auf die Mächtigen dieser Welt sieht und nicht zuletzt deshalb oft als „vierte Säule der Demokratie“ bezeichnet wird.
Je nach Interessenlage, Geschmack und Anspruch des Publikums werden Journalistinnen und Journalisten für die Erfüllung dieser Aufgaben geliebt oder gehasst, gelobt oder gescholten, bekommen Qualität zu- oder abgesprochen. Qualität ist die inoffizielle Währung bei der Beurteilung journalistischen Publizierens. Eng damit verbunden ist die geläufige, wenn auch nicht völlig trennscharfe Unterscheidung zwischen Qualitätsmedien auf der einen Seite – und allen übrigen auf der anderen. Erstere sind diesem Verständnis zufolge solche, in denen zumindest mehrheitlich Qualitätsjournalismus produziert wird. Doch was ist das überhaupt, Qualitätsjournalismus?
BEKANNTE STANDARDS
An dieser Frage beißt sich die Fachwelt seit geraumer Zeit die Zähne aus. Der Medienwissenschaftler Stephan Ruß-Mohl hat dafür ein viel zitiertes Bonmot geprägt: Qualitätsjournalismus definieren zu wollen gleiche dem Versuch, einen Pudding an die Wand zu nageln. Auch wenn eine allgemein akzeptierte Definition außer Reichweite scheint, lasse sich der Qualitätsbegriff im Journalismus doch auf mehreren Ebenen untersuchen, so die österreichische Wissenschaftlerin Larissa Krainer, außerordentliche Professorin für Medien- und Kommunikationswissenschaften an der Universität Klagenfurt. Da wäre etwa der Rechercheprozess: „Es gibt bekannte Standards für die Recherche, wie Gründlichkeit, Ausgewogenheit oder Objektivität“, sagt Krainer.
Bekannt ist auch die Regel „Check, recheck, double-check“, die verlangt, jede Information vor der Veröffentlichung zweimal zu prüfen. Zudem will der Beruf der Journalistin oder des Journalisten auch gelernt sein: „Man muss nicht unbedingt eine formale Journalismus-Ausbildung machen, aber man sollte zumindest einen Qualifikationsprozess in einer Redaktion durchlaufen“, so Krainer. Auch ein Blick auf das Medium selbst offenbare oft, wie es um dessen Qualität bestellt sei: „Existiert ein Redaktionsstatut? Gibt es interne Leitlinien für ethischen Journalismus? Ist das Medium Mitglied beim Presserat?“ Lassen sich Fragen wie diese mit Ja beantworten, deutet das laut Krainer auf Qualität hin. In Österreich existiert außerdem seit 1971 ein „Ehrenkodex für die österreichische Presse“, der in der aktuellen Fassung zwölf Grundsätze guter journalistischer Arbeit definiert, von denen jeder durch mehrere ethische Regeln genauer spezifiziert ist. Die Prinzipien betreffen die Themen Freiheit, Genauigkeit, Unterscheidbarkeit von bloßer Meinung, Einflussnahmen, Persönlichkeitsschutz, Intimsphäre, Schutz vor Pauschalverunglimpfungen und Diskriminierung, Materialbeschaffung, redaktionelle Spezialbereiche, öffentliches Interesse, Interessen von Medienmitarbeiterinnen und -mitarbeitern sowie Suizidberichterstattung. Die Einhaltung der Regeln ist freiwillig.
Wenn ein Medium sich den Bestimmungen des Ehrenkodex unterwirft, kennzeichnet es dies durch einen entsprechenden Hinweis im Impressum. Auf einer weiteren Betrachtungsebene lassen sich die journalistischen Inhalte sowie deren gestalterische Aufbereitung mittels Schreibstil, Layout oder Fotos analysieren. Hier spielt zwar subjektives Empfinden eine vergleichsweise große Rolle; ob in einer Publikation etwa auf korrekte Grammatik Rücksicht genommen wird, kann aber durchaus als objektives Qualitätskriterium gelten. Gutes Deutsch ist nicht gänzlich eine Angelegenheit subjektiven Empfindens, wie der kürzlich verstorbene Journalist und „Sprachpapst“ Wolf Schneider in unzähligen Büchern dargelegt hat. Wenn journalistische Tätigkeit in die Kritik gerät, dann häufig wegen mangelnder Distanz. Einerseits gegenüber denen, über die berichtet wird (allen voran Personen aus der Politik sowie Unternehmen); andererseits auch gegenüber denen, die zur Finanzierung des jeweiligen Mediums beitragen, also Werbekunden.
DAUERTHEMA ERLÖSE
Dass Medien zu einem Gutteil vom Anzeigengeschäft leben, sorgt für eine latente Gefahr der externen Einflussnahme, der sich weder öffentlich-rechtliche noch privatwirtschaftlich organisierte Medien gänzlich entziehen können. Das Sprichwort „Wer zahlt, schafft an“ schwebt wie ein Damoklesschwert über der medialen Unabhängigkeit. „Redaktionsstatuten wurden ja auch deshalb erfunden, um diesen Widerspruch aufzulösen“, gibt Larissa Krainer zu bedenken. Außerdem: „Freie Radios zeigen, wie man sehr wohl unabhängig bleiben kann.“ Finanzielle Unabhängigkeit könnte die Lösung sein, meint die Expertin: „Die Entwicklung wird langsam in Richtung bezahlter Online-Content gehen.“
Als Totengräber des Qualitätsjournalismus werden immer wieder die sozialen Medien gehandelt. Vor allem junge Menschen gelten heute als kaum erreichbare Zielgruppe. Eine Einschätzung, der Larissa Krainer nicht zustimmt. „Junge Menschen interessieren sich durchaus für den Unterschied zwischen Fake News und Wahrheit“, ist sie überzeugt. „Auch in Schulen wird das stark thematisiert.“ Sie empfiehlt klassischen Medien, auf Social-Media-Kanälen Präsenz zu zeigen.
Zwar könne die dort übliche Kürze der Beiträge ein Problem für die Arbeitsweise und Detailgenauigkeit herkömmlicher Qualitätsmedien sein. Andererseits biete das Bespielen sozialer Medien auch die Chance, die Jugend zu erreichen und deren Themen anzusprechen: „Man muss dorthin gehen, wo die jungen Menschen sind“, rät Krainer. Doch ist der Qualitätsjournalismus wirklich so siech, wie das zuweilen gerne behauptet wird? Manche Studien stellen diesen Befund zumindest infrage, andere scheinen ihn zu bestätigen.
„Es gibt bekannte Standards für Recherche, wie Gründlichkeit, Ausgewogenheit oder Objektivität.“
So zeigt die Österreich-Auswertung des aktuellen „Digital News Report“ des Reuters Institute einen beachtlichen Rückgang des Vertrauens in Nachrichten im Allgemeinen von 5,7 Prozentpunkten gegenüber dem Vorjahr. Nur 40,6 Prozent der Befragten vertrauen Nachrichtenquellen. Österreich liegt damit unter dem globalen und auch unter dem EU-Durchschnitt, allerdings ist der Wert um fast einen Prozentpunkt höher als noch vor der Pandemie. Dieser Umstand passt zu dem Ergebnis einer Untersuchung der Wirtschaftskammer Wien, bei der 18- bis 25-Jährige zu ihrem Medienkonsum befragt wurden. Demnach hat während der Corona-Lockdowns eine Art von Rückbesinnung auf herkömmliche Medien und Qualitätsjournalismus stattgefunden. Insbesondere klassische Nachrichtenformate im öffentlich-rechtlichen Fernsehen erfreuen sich steigender Beliebtheit, gelten sie doch als besonders seriös. In Deutschland etwa sind laut dem Statistik-Portal Statista die „ARD Tagesschau“ und die ZDF-Nachrichtensendung „heute“ die vertrauenswürdigsten Nachrichtenquellen. Doch solche Befunde sind kein Grund, sich auszuruhen. Qualitätsjournalismus lebt von dem Vertrauen seiner Konsumentinnen und Konsumenten, dass die präsentierten Informationen korrekt, relevant und objektiv sind – und zwar immer. Vertrauen ist jedoch rascher verspielt als erworben. „Der Wert des Journalismus muss in der Gesellschaft wieder etabliert werden“, sagt Larissa Krainer. Dieses Ziel kann nur durch kontinuierliche Qualität erreicht werden.