Berichterstattung, die nicht den eigenen Überzeugungen und Ansichten entspricht, wird von vielen Menschen als schlechter Journalismus empfunden. Das sagt Christian Swertz, Professor für Medienpädagogik am Institut für Bildungswissenschaft der Universität Wien. Um junge Menschen mit Medienprodukten zu erreichen, führe kein Weg an Online vorbei.
Im Internet begegnet man Publikationen hoher journalistischer Qualität ebenso wie Clickbait, also Inhalten, die vor allem möglichst viel Interaktion generieren sollen: Anhand welcher Merkmale erkennt man Qualitätsjournalismus?
George Orwell hat einmal notiert, dass alle Propaganda lügt, auch wenn jemand die Wahrheit sagt. Journalistinnen und Journalisten glauben oft, Wahrheiten zu liefern, produzieren aber Propaganda. Das kann durch eine Beobachtung des Linguisten Noam Chomsky erklärt werden: Medienunternehmerinnen und -unternehmer stellen gerne Leute ein, deren politische, ökonomische und religiöse Auffassungen mit ihren eigenen übereinstimmen. Der so produzierte „Qualitätsjournalismus“ ist in Warheit Propaganda für die Unternehmen.
Was zeichnet Qualitätsjournalismus aus?
Jeder Mensch hält das für guten Journalismus, was seinem Geschmack entspricht. Bürgerlich kapitalistisch gesinnte Menschen werden als Marktsegment von Journalistinnen und Journalisten mit ähnlichem Geschmack adressiert und halten das für gute Praxis.
Produkte, die sich an Menschen mit national-faschistischem, proletarisch-kommunistischem oder prekär-anarchistischem Geschmack wenden, werden dann als schlechte Praxis begriffen. Da das umgekehrt genauso gilt, besteht innerhalb der jeweiligen Gruppe Konsens darüber, dass Journalismus, der für andere Marktsegmente produziert wird, schlecht sei.
Welche Rolle spielt Qualitätsjournalismus, wenn Desinformation, Filterblasen und Algorithmen immer mehr Raum einnehmen? Ist er aktuell notwendiger denn je?
Qualitätsjournalismus ist eine Filterblase. Das Wort wird im Marketing für Menschen mit bürgerlich-kapitalistischer Einstellung verwendet, und um den Geschmack dieses Marktsegments zu treffen, führen Journalistinnen und Journalisten Filteralgorithmen aus. Explizite Filterkriterien finden sich in Redaktionsstatuten und Geschäftsbedingungen von Medienunternehmen, während implizite Kriterien in der Nachrichtenwerttheorie beschrieben werden. Ein Beispiel für letztere ist der „Schlechte Nachrichten sind gute Nachrichten“-Filter: Schlechte Nachrichten haben einen höheren Verkaufswert als gute. Diese Filter zu kennen ist aktuell wichtiger denn je.
Wie lassen sich Informationen in einem journalistischen Beitrag verifizieren und falsifizieren?
Entscheidend ist, sich gewisser Medienrealitäten bewusst zu sein. Gut etablierte Möglichkeiten zur Untersuchung von Medienrealitäten sind ideologiekritische Analysen und Diskursanalysen. In den Blick genommen werden dabei die mit einer bestimmten Information verbundenen Interessen. Wenn klar ist, ob mit einer Information wissenschaftliche, journalistische, politische, ökonomische oder religiöse Interessen zum Ausdruck gebracht werden, kann sie besser eingeschätzt werden. Das ist nicht immer einfach – ein journalistischer Bericht über eine wissenschaftliche Information ist eben keine wissenschaftliche Information, sondern eine journalistische. Meist genügt es aber schon, sich zunächst zu fragen, wer was zu wem durch welchen Kanal zu welchem Zweck gesagt hat. Medienkonsumentinnen und -konsumenten können nur durch eigenes Denken zu einer Einschätzung gelangen.
“Journalistinnen und Journalisten glauben oft, Wahrheiten zu liefern, produzieren aber Propaganda.“
Wie kann Journalismus eine junge Zielgruppe erreichen, die sich vor allem online informiert?
Menschen, die sich primär im Internet informieren, lassen sich klarer Weise am besten über Onlineberichterstattung erreichen. Um dabei Profit zu machen, muss man genau wie konventionelle Medien Marktsegmente in einer Weise adressieren, dass Aufmerksamkeit entsteht, die dann monetarisiert werden kann. Das gelingt umso besser, je mehr den Erwartungen des jeweiligen Zielpublikums und der Struktur des Mediums entsprochen wird:
Für einen Dienst wie Mastodon Reportagen zu schreiben, ist also völlig sinnlos.
Qualitätsjournalismus in sozialen Medien: Nicht mehr als ein frommer Wunsch?
Soziale Medien gehören wie Zeitungen oder Fernseh- und Radiosender in der Regel großen Unternehmen. Ob die „Qualität“ mittels Auflagenhöhe, Einschaltquote oder Klickrate gemessen wird, macht kaum einen Unterschied.
Ist es aktuell so, dass die „fünfte Gewalt“ Internet wesentliche Teile der „vierten Gewalt“ Medien zerstört oder untergräbt?
In parlamentarischen Regierungssystemen werden meistens Exekutive, Judikative und Legislative funktional unterschieden. Diesem
Prinzip der Gewaltenteilung folgt auch die österreichische Verfassung. Es gibt aber Journalistinnen und Journalisten, die es für eine Wahrheit halten, dass sie die „vierte Gewalt“ im Staat repräsentieren. Dass eine staatliche Gewalt durch den
Souverän, also das Volk, in freier, geheimer und gleicher Wahl legitimiert sein muss, wird dabei aber nicht erwähnt.
Das Gespräch führte fit4internet.